Als Kind1 zu studieren begann, bereitete ich mich vor auf den Fall der Fälle. Was, wenn Kind1 von seinem studierten Vater wissen will, wie man Literatur recherchiert, wie man sie verwaltet, wie man möglichst aufwandsarm Hausarbeiten schreibt und dabei richtig zitiert und ein Literaturverzeichnis auf Knopfdruck erzeugt. Und wie schreibt man alles auf, was man so mitschreibt. Und wie bekommt man es hin, Querverweise zwischen verschiedenen Stellen in den Mitschriften zu erzeugen. Wie denkt man, mit seinen Aufzeichnungen?
Wenn ich eines im Leben gelernt habe, dann, dass man niemals auslernt.
Ihr mögt sagen, nun ja , das ist jetzt nichts worüber man schreiben muss. Es stimmt halt einfach, ja. Aber man muss nicht drüber schreiben. Mag sein, dass man nicht muss, aber ich will vielleicht? Und ich bin eben nicht man. Ich bin ich.
Das ist auch so eine Erkenntnis: Dass man im Leben erst mal zu sich selbst finden muss. Und lernen muss, zu sich, wie man ist, zu stehen. Sich selbst nicht zu verbiegen. Man selbst zu sein.
Muss man auch nicht drüber schreiben? Na ja, das wollen wir doch erst mal sehen.
Ein bisschen Vorgeplänkel, Hintergrund nennt man das.
Im Winter 22/23 traf ich auf eine (für mich damals neue) Software namens Obsidian. Ich bin nicht einfach so und voller Zufall drüber gestolpert, ich habe vielmehr recherchiert, was denn Studierende heute so als ihre Mitschreibe-Lösung verwenden. Ich, zu meiner Studienzeit, hatte ja wirklich noch Papier, Stift und dicke Ordner im Einsatz. Aber heute, im Zeitalter der Digitalisierung haben doch bestimmt (fast) alle Studis eine tragbaren Computer (nicht wie wir damals, als allein der Bildschirm Ausmaße hatte … ich schweife ab) und dementsprechend ausgestattet da drauf auch Software, die das strukturierte und verlinkte Mitschreiben ermöglicht.
Warum ich recherchiert habe? Weil ich als Vater einer Tochter, die sich seit dem Oktober letzten Jahres dem Studium hingibt, im Falle des Falles – also falls sie mich etwas zum WIE des Studierens frage sollte – zumindest mit einer Ahnung der modernen Möglichkeiten aufwarten wollte.
Ich stolpere also über Obsidian und im Dunstkreis der Obsidian-Jünger über jede Menge Tutorials die unterschiedlichste Anwendungsfälle für die Nutzung von Obsidian besprechen.
Gleichzeitig habe ich im Winter 22/23 begonnen, mich ein wenig dem Thema der Soziologie genähert und bin dabei über den Niklas Luhmann und sein immenses Werk gestolpert. Man kann jetzt nicht sagen, wenn man sich mit Soziologie befasst stolpere man zufällig über Luhmann, nein das passiert dann zwangsläufig. Und man kann bei der Recherche zu Luhmanns Werken der Arbeitsweise Luhmanns ebenfalls nicht ausweichen. Der Luhmann’sche Zettelkasten ist selbst gegenwärtiger Forschungsgegenstand. Seine herausragende Besonderheit ist nach meiner Auffassung die Tatsache, dass er ein analoges, raumgreifendes Werkzeug ist, dass in seiner Funktionsweise als Blaupause für heutige Software-Fähigkeiten verstanden werden kann.
Die enorme Produktivität, die die Soziologen (und nicht nur Deutsche!) Luhmann zuerkennen, hat offensichtlich etwas mit dem Luhmann’schen Zettelkasten (also einem Werkzeug und dessen methodischen Einsatz) zu tun. Ohne ihn hätte Luhmann es dem eigenen Bekunden nach nicht geschafft so produktiv zu sein (die Produktivität eines Wissenschaftlers bemisst sich an der Zahl seiner Veröffentlichungen).
Studier-Werkzeug, Studier-Methodik und eine Software
Bling! Da lag es vor mir: Werkzeuge, die methodisch clever und miteinander angewandt, unterstützt durch Software, mein eigenes Studium vor vielen Jahren viel leichter gemacht hätten.
_ Literaturverwaltung
Schade dass ich keine Zeit zum Studieren habe, denke ich bei mir. Das würde so viel Spaß machen und viel effektiver von der Hand gehen als vor 40 und vor 35 Jahren (Ja, ich habe zweimal studiert, aber das ist eine andere Geschichte und sie geht anders als man denken könnte).
Na ja, da ich selbst beruflich auch hin und wieder schnell auffindbare Literatur benötige und darauf referenzieren muss, habe ich (ohne es in der Familie permanent zu besprechen) Zotero im Einsatz. Ich pflege die bibliographischen Angaben und habe in der Regel eine PDF-Version des Werkes als Anhang zum bibliographischen Eintrag in der Zotero-Datenbank abgelegt, was bei überwiegend als PDF Veröffentlichten Papern schlicht ziemlich naheliegend ist. Ich annotiere diese PDF-Dokumente dann in Zotero und habe damit alle Hervorhebungen und Notizen zum Dokument in Zotero liegen.
Auf alle Fragen hinsichtlich Literatursammlung, -verwaltung und Zitationsreferenz sowie Literaturverzeichnisse bin ich also erstmal gut aufgestellt.
Anekdote: Ich erinnere mich an meine letzten Seminararbeiten und die eigenen Diplomarbeiten (ja ich habe zwei Diplome aus verschiedenen Jahrhunderten) und dass ich damals auch schon eine Software (die auf Windows 3.11 gelaufen ist) im Einsatz hatte, mit der die Verwaltung all der gelesenen Bücher, Zeitungs- und Zeitschriftenartikel und DIN-Normen zumindest schon mal digital möglich war. Der meiste Lesestoff hingegen war ja durchaus noch analog, wenn man von wenigen Ausnahmen absieht. Ich glaube mich zu erinnern, dass beim Schreiben der Arbeiten das Zitieren und das damit verbundene Erstellen der Zitationsreferenz im Text recht bequem von der Hand ging. Auch die Sache mit dem Literaturverzeichnis muss einfach gewesen sein, ich kann mich diesbezüglich an keine Stressmomente erinnern.
_ Mitschreiben und „Notemaking“ (= Verzetteln nach Luhmann)
Beim Betrachten von Obsidian schlägt Erkenntnis zu: Obsidian hat Potenzial, denke ich bei mir und male mir aus, wie ich all mein anstudiertes Wissen und die gewonnen, zugeflogenen, hart erarbeiteten Lebensweisheiten und beruflichen Erkenntnisse über Methoden, Terminologien, Kunden, Partnern, Managern und den ihnen allen zurechenbaren Erfolgen und Misserfolgen oder Missgriffen in einer großen Aufbewahrungsbox unterbringe und durch die Vernetzung all der hunderten, und tausenden Notizen an einer zentralen Stelle neue Erkenntnisse entstehen.
Ich muss nur jetzt mal eben alles, was irgendwo anders rumliegt da reinpacken und von nun an alles was mir widerfährt samt den dazugehörigen Gedanken da drinnen aufschreiben.
Gesagt getan. Ich werde zum Anwender von Obsidian.
Potenziale sind leicht erkannt, das Potenzial zu heben ist allerdings erst mal Arbeit. Ich musste mich reinknien. Und ich musste ein Konzept finden dass zu mir und meinen Anwendungsfällen passt. Dabei ein Stück Software zu verwenden, dass mit hunderten von Plugins einlädt, alles auszuprobieren erfordert ein stabiles Fundament mit dem eigenen Konzept, aber genau das hat am Anfang noch gefehlt.
Und gleichzeitig das Prinzip des Luhmann’schen Zettelkastens (bzw. seines Füllens) zu durchsteigen und zu in einen „Habit“ zu verwandeln, war dann die Spitze des Eisbergs an Arbeit, die ich mir selbst auferlegt habe.
Und das nur aus dem Grund, weil ich das Potenzial Luhmannschen Verzettelns gepaart mit Obsidian als digitales Zettelkasten-Werkzeug schier unermesslich groß finde und ich für den Fall das ich gefragt werde, Kind1 allumfassend zu beraten. Nicht als Muss, aber als so kann es gehen, auch wenn das Arbeit macht, Du wirst dran wachsen! (Ich bin halt nicht für das Bohren dünner Bretter zu haben, und das weiß Kind1. Wenn die Tochter dünnere Bretter bohren will, wird sie das tun und ich muss es akzeptieren, denn es ist Ihr Leben!)
So kam es, dass ich begann, mir einen Zettelkasten mit Obsidian zu bauen. In Sachen Literatur ist er mit Zotero integriert (nicht zu fest, schön lose! Ich habe ja nicht nur Literaturverarbeitung als Use Case).
Und dann kam der Zufall ins Spiel
Über meinen Arbeitgeber der im Rahmen von Corporate Learning Initiativen auch mit Unternehmen in Deutschland zusammenarbeitet hatte ich Ende 2022 über zwölf Wochen an einem soganannten Learning Circle teilgenommen. Worum es da ging, spielt hier keine Rolle, die über die Teilnahme ermöglichte Vernetzung lernwilliger Menschen in einer unternehmensübergreifenden Learning-Community dagegen schon. Denn die große Community startete im Frühjahr 2023 einen sogenannten Lernpfad Zettelkasten 2.0, also genau in jenem Moment als ich begann mit Obsidian zu arbeiten.
So wurde ich in meiner Familie zum Zettelkasten-Guru …
Dass meine Tochter bei Ihrem Studium im Wesentlichen ohne meine Expertise auskommt, mag in diesen Zusammenhang betrüblich klingen. Aber hey, sie macht ihr Ding und kommt weitgehend ohne ihren alten Vater klar – was kann einen Vater stolzer machen. 😉