Man muss kein Freund der Partei Die Linke sein. Bei ihren Positionen aufmerksam zuzuhören und hinzuschauen lohnt sich allemal. Gerade heute (im Sinne von „in diesen Zeiten“). Erlebe ich gerade den Beginn einer Partei-Transformation oder den Beginn vom Ende der Partei Die Linke?
Ich nehme Bezug zu dem von der Parteivorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow am 3. März 2022 auf ihrer Internetseite veröffentlichten Artikel unter der Überschrift „Wir müssen reden“ (source: Wir müssen reden: Susanne Hennig-Wellsow aufgerufen am 11. März 2022 und per Print-Funktion als PDF heruntergeladen und hier zur Dokumentation bereitgestellt):
Was daran bemerkenswert ist? Die Ehrlichkeit der Analyse, die man der Partei und seinen Mitgliedern gemeinhin weder zuspricht noch zu erkennen vermag, ist – wie ich finde – in diesem Text herausragend. Hier wird anerkannt, dass es Menschen gab, die die Lage abseits der eigenen Einschätzungen korrekt bewertet haben und man selbst tatsächlich falsch lag.
Das man selbst falsch lag ist heute leicht zu schreiben. Ich selbst habe ja nicht gewagt eine Prognose über den Fortgang der russischen Provokationen abzugeben, habe aber schon klar meine Hoffnung dargelegt es möge nicht zu einem Einmarsch kommen. Nun, die Hoffnung ist enttäuscht worden, wie wir jetzt alle wissen. Und doch: meine Hoffnung muss ja irgendwoher gekommen sein, sich auf etwas irgendwie Substanzielles in meiner Einschätzung gestützt haben. Hoffnung basiert ja nie nur auf einer naiven Weltsicht. Sie ist immer auch gepaart mit ganz pragmatischen Erfahrungen. Aber eben auch mit Gefühlen, Emotionen.
Doch zurück zum Ausgangspunkt. Hennig-Wellsow benennt nicht nur einen eigenen Irrtum. Sie bewertet ihn sogar: als Illusion.
Offenbar gibt es Menschen, die in der Analyse einer Lage weit rationaler als Hennnig-Wellsow (und ich) zu einer Einschätzung kommen und kamen, und denen der Überfall der russischen Truppen als ein denkbares und irgendwie logisch erkennbares Szenario erschien, die dies auch noch kundgetan haben. Denen zollt Hennig-Wellsow in ihrem Artikel Respekt und spricht offen aus, das man selbst offensichtlich Illusionen nachgehangen hat.
Sie haben sich nicht geirrt, und umso deutlicher steht uns nun vor Augen, wie groß die eigenen Illusionen waren.
Dem ist an Deutlichkeit nichts hinzuzufügen. Nun könnte hier mit dem Eingestehen man sei einen Irrtum aufgesessen der Text zu Ende sein. In der Politik ist an solcher Stelle auch meist Schluss. Es wird dann immer verlautbart, man müsse die Lage nun analysieren und sich im inneren Zirkel beraten. Ergebnisse solcher Beratung und Analyse kommen dann meist nicht mehr ans Licht. Anders hier. Hennig-Wellsow endet nicht mit der Feststellung eines Irrtums. Sie bewertet ihn als Illusion! Diese Wertung wiegt schwer. Das Gewicht der Fehleinschätzung wird damit zur Bürde, zur einer Last, die kaum tragbar scheint
Die … Leistung der Roten Armee … wird von Putins Regime in den Dreck getreten.
Sagen wir weiterhin jenen, die ihre Sicherheit in der Nato suchen, dass deren Auflösung unser programmatisches Ziel ist?
Wie genau stellen wir uns nach diesem Krieg unser alternatives Sicherheitssystem vor und wie kommen wir dorthin?
Diese Fragen in dieser Deutlichkeit zu stellen trifft in meiner Wahrnehmung die Partei Die Linke bis ins Mark. Das tut richtig weh. Antworten darauf zu finden, die nicht wieder Illusionen nachhängen und doch von einer als links erkennbaren Positionierung geprägt sein müssen, wird richtig harte Arbeit sein. Das kann soweit gehen, dass es sich zur Zerreißprobe entwickelt. Zwischen Realos, die es auch in dieser Partei gibt, und den Fundamental-Pazifisten und jenen, die aus dem untergegangenen Real-Sozialismus stammen, die mit einer schier bedingungslosen Zurschaustellung einer Freundschaft zur ehemaligen Sowjetunion diese deutsch-sowjetische Freundschaft ganz einfach ein eine deutsch-russische Freundschaft umfirmiert haben, klaffen in meiner Wahrnehmung Marianengräben.
Fundamental-Pazifisten eine Positionierung zur Bundeswehr und zur Verteidigungsfähigkeit abzuverlangen ist in meinen Augen schlicht unmöglich.
Den Nostalgikern, Verklärten, alten und neuen Kommunisten in der Partei eine illusionsfreie Perspektive auf die Nato als Verteidigungsbündnis und die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland abzuverlangen erscheint mir, bei allem Respekt, ebenso schier unmöglich, wird doch die Nato vom Großteil der Partei eher als Aggressionspotenzial denn als Verteidigungsbündnis angesehen.
diese Marianengräben zuzuschütten dürfte ein Aufeinander-Zugehen historischen Ausmaßes innerhalb der Partei bedürfen und ganz grundsätzlich die Position der Partei im Spektrum der Parteien neu justieren.
Ich denke tatsächlich, die Gräben müssen geschlossen werden, ein Bau von Brücken dürfte für die Stabilität der Positionen der Partei Die Linke nicht hinreichend sein. In diesem Kontext dürften Brücken wahrhaftig nur Brückentechnologie in einer grundsätzlichen Positionierungstransformation der Partei Die Linke sein, sie können zu einfach wieder hinweggerissen werden. Um nachhaltig als Partei diese oben aufgeworfenen Fragen mit neuen linken Positionen zu füllen, müssen die Gräben geschlossen werden.
Fazit: Bemerkenswerter Artikel und wohl entweder der Beginn einer Partei-Transformation oder der Beginn vom Ende der Partei Die Linke.